Soziale Schichtung und politische Kultur im städtischen China der Gegenwart

Im Mittelpunkt dieses Teilprojektes unter der Leitung von Prof. Dr. Björn Alpermann steht die Frage nach Effekten der Stratifizierungsprozesse auf politisches Denken, insbesondere Haltungen bezüglich Autorität und Partizipation. Chinas städtische Gesellschaft durchläuft derzeit eine rasante Transformation im Zuge der ökonomischen Modernisierung. Dabei wird der gesellschaftliche Zusammenhalt einer enormen Belastungsprobe unterzogen. Der Parteistaat ist sich dieser Herausforderung bewusst und versucht, den Zentrifugaltendenzen entgegenzusteuern. So gab die Kommunistische Partei Chinas die Herausbildung einer Mittelschicht als gesellschaftspolitisches Ziel aus, um eine stabile soziale Basis ihrer Herrschaft zu generieren. Wie die neu entstehenden sowie die bereits existierenden sozialen Gruppen ihren sozialen Auf- bzw. Abstieg verarbeiten und welche Veränderungen in politischen Haltungen und Wertvorstellungen sich hieraus ergeben, wird für die zukünftige Stabilität des politischen Systems von entscheidender Bedeutung sein.

 

Daher untersucht Prof. Alpermann gemeinsam mit seinen beiden Mitarbeitern den Wandel sozialer Identitäten, der mit den laufenden Umschichtungsprozessen verbunden ist. Das Projektteam bedient sich dabei einer bewusst offenen Vorgehensweise, bei der in der ersten Projektphase (2010-2014) qualitative Interviews  mit bestimmten sozialen Gruppen wie Arbeitern und städtischen Arbeitslosen durchgeführt wurden. Diese empirische Basis wurde im Verlauf des Forschungsprozesses laufend erweitert, um Vergleiche mit weiteren sozialen Gruppen und anderen Untersuchungsorten (Beijing, Xi’an, Wenzhou) möglich zu machen. Die Feldforschung findet in Kooperation mit dem Institut für Soziologie an der Pekinger Akademie der Sozialwissenschaften statt, von der auch Gastwissenschaftler an die Universität Würzburg eingeladen wurden.

 

Auf Basis der qualitativen Interviews entwickelte das Projektteam eine Typologie, die erfasst, wie die Befragten den Verlauf ihrer sozialen Mobilität selbst verstehen und im Sinne sozialer Identitäten deuten. Die so rekonstruierten sozialen Identitäten stehen tatsächlich nicht im Einklang mit objektiven Schichtungsmerkmalen, die gemeinhin bei der Untersuchung des politischen Denkens in China zugrunde gelegt werden. Soziale Identitäten erlauben daher einen neuartigen Zugriff auf die Frage, wie sozialer Wandel in China sich politisch niederschlägt.

 

Es konnte gezeigt werden, dass die subjektiven Verlaufsformen sozialer Mobilität mit bestimmten Mustern des politischen Denkens assoziiert sind. Diesen Verbindungen geht das Projektteam in der zweiten Forschungsphase (2014-2016) mit einer Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden der empirischen Sozialforschung weiter nach. Geplant ist eine größere fragebogengestützte Erhebung in den drei bisherigen Untersuchungsorten. Die so gewonnenen Daten dienen zur Überprüfung und externen Validierung der Hypothesen, welche in der ersten Forschungsphase gewonnen wurden.